Nadyne Saint-Cast, Bündnis 90/Die Grünen
Nadyne Saint-Cast
GRÜNE
Freiburg II [47]

Was werden Sie tun, um für die Einhaltung des 1,5°C-Ziels einzutreten?

In unserem Wahlprogramm haben wir ein ambitioniertes Klimaschutzprogramm verabschiedet. Unser Ziel ist klar: Wir wollen Baden-Württemberg klimaneutral machen und unseren Beitrag leisten, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Mit einem Klimaschutzsofortprogramm, der Überarbeitung des baden-württembergischen Klimaschutzgesetzes, der Ausweitung der PV-Pflicht und mehr Tempo bei der Mobilitätswende haben wir viele Maßnahmen definiert, wie wir dieses Ziel erreichen wollen.

Mir persönlich liegt insbesondere die nachhaltige Mobilitätswende am Herzen. Ich will, dass wir Baden-Württemberg vom Automobilland zum nachhaltigen Mobilitätsland weiterentwickeln. Dies bietet die Chance, unsere Städte und Orte lebenswerter zu machen, unsere Klimaschutzziele zu erreichen (- 42% CO2 bis 2030) und die Arbeitsplätze von morgen zu sichern. Dass diese Mobilitätswende auch wirtschaftliche Chancen bietet, erlebe ich in meinem beruflichen Alltag. Ich arbeite in der nachhaltigen Mobilitätsbranche und sehe, dass das Fahrrad in Zeiten von E-Bikes insbesondere in den Städten eine echte Alternative zum Auto ist. Und hier werden nachhaltige Arbeitsplätze geschaffen.

Was bedeutet ein Nicht-Erreichen des 1,5°C-Ziels für Freiburger*innen und Baden-Württemberger*innen konkret?

Wir müssen als Menschheit jetzt umsteuern, um die globale Erhitzung noch einzudämmen. Denn wir nähern uns gefährlichen Kipp-Punkten wie bei den Eiskappen an den Polen, die dramatisch schmelzen, oder bei den Dauerfrostböden in Sibirien, die beim Auftauen gigantische Mengen an klimaschädlichem Kohlenstoff freigeben. Wenn wir diese Kipp-Punkte reißen, gerät das Klima außer Kontrolle. Die Erde wird dann nicht mehr der Ort sein, den wir heute kennen.

Laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) fliehen bereits heute mehr Menschen weltweit vor den Klimafolgen als vor Krieg und Verfolgung. Trockenheit, Überschwemmungen und Naturkatastrophen zerstören die Lebensgrundlagen. Und auch hier in der Region ist der Klimawandel keine Theorie mehr, sondern spürbar. Trockenheit, Starkregen und Wetterextreme machen den Landwirt*innen und dem Wald zu schaffen. Unser Schwarzwald leidet unser Hitzestress und Trockenheit. Landwirt*innen leiden unter Ernteausfällen. Erst kürzlich habe ich mir vor Ort ein Bild davon gemacht, welche negativen Folgen der Klimawandel bereits heute für unsere regionalen Winzer*innen hat. Wollen wir also den kommenden Generationen einen lebenswerten Planeten hinterlassen und weltweit das Leid lindern, müssen wir alles daransetzen, die Klimaerwärmung zu stoppen.

Verteilt man das weltweit verbleibende CO₂-Budget gleichmäßig, hat Deutschland voraussichtlich 2024 sein gesamtes CO₂-Budget für das 1,5°C- Ziel aufgebraucht. 
Hat das für Sie und Ihre Partei eine Konsequenz und wenn ja welche?

Wie Sie richtig beschreiben, hat Baden-Württemberg nach dem Konzept des CO2-Budgets noch 610 Millionen Tonnen CO2 zur Verfügung. Bei gleichbleibendem Ausstoß wäre dieses Budget schon 2024 aufgebraucht. Dies ist lediglich eine aktuelle Bestandsaufnahme, denn mit jedem neuen Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) muss das verbleibende Carbon-Budget angepasst werden. In unserem Wahlprogramm für die Landtagswahl haben wir uns zum Ziel gesetzt, dass wir unsere Klimaschutzpolitik an dem Konzept des CO2-Budgets ausrichten. Damit wären wir das erste Bundesland, das den CO2- Budget-Ansatz anwendet. Wir werden Vorschläge erarbeiten, wie der Budget-Ansatz umgesetzt werden kann. Ein wichtiges Instrument, das wir in unserem Wahlprogramm vorschlagen, ist die Einrichtung eines Rates der Klimaweisen. Ein unabhängiges wissenschaftliches Gremium, ähnlich wie die Wirtschaftsweisen. Dieses wissenschaftliche Beratungsgremium soll jährlich die Maßnahmen der Landesregierung überprüfen, darüber berichten und Maßnahmen vorschlagen, wie das 1,5 Grad-Ziel bzw. der CO2-Ansatz umgesetzt werden kann.

Welche Ideen und Visionen verfolgen Sie und Ihre Partei für ein grundsätzliches Umlenken in unserer Gesellschaft und Wirtschaft?

Unser klares Ziel: Wir wollen Baden-Württemberg schnellstmöglich klimaneutral machen.

Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist Grundlage und Rahmen unserer Politik. Als erstes Bundesland haben wir bereits 2013 ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz auf den Weg gebracht. Ein Gesetz, mit dem wir Ziele definiert und Maßnahmen auf den Weg gebracht haben. Das gesteckte Ziel, bis 2020 die CO2-Emissionen um 25 % zu senken (auf Basis von 1990) haben wir fast erreicht. Hierfür haben wir den Ausbau den erneuerbaren Energien mit Wind, Wasser und Sonne verdoppelt und mehr Tempo in die erneuerbare Wärmewende, die energetische Gebäudesanierung und die nachhaltige Mobilitätswende gebracht. Aber klar ist: Das reicht nicht aus. Deswegen haben wir mit unserem Wahlprogramm ein ambitioniertes Handlungsprogramm erarbeitet.

Wir werden die Klimaziele Baden-Württembergs sowohl im Klimaschutzgesetz als auch im Integrierten Energie- und Klimaschutzkonzept (IEKK) an die Pariser Klimaziele und die neuen Klimaziele der EU anpassen. Und wir schlagen ein umfassendes Klimaschutzsofortprogramm vor, um mehr Tempo in den Klimaschutz zu bringen.
Dieses Sofortprogramm beinhaltet u.a. folgende Maßnahmen:

Ausbau Erneuerbare Energien:

  • Ausweitung PV-Pflicht auf Wohngebäude, auch auf Bestandsgebäude, sofern eine Dachsanierung vorgenommen wird. Überall wo es die Dächer ermöglichen, müssen wir diese für die Gewinnung von Sonnenenergie nutzen. Bislang gilt die PV-Pflicht nur für gewerbliche Gebäude.
  • Ausbau Windkraft auf landeseigenen Flächen. So könnten mindestens 1.000 neue Anlagen entstehen.
  • Wir wollen einen Kohleausstieg bis 2030 und werden uns dafür beim Bund einsetzen.

CO2-Preis:

  • Für die baden-württembergische Landesverwaltung führen wir einen CO2- Schattenpreis von 180 Euro ein. Das ist der Preis der notwendig wäre, um eine ökologische Lenkungswirkung zu erreichen. Wir werden uns auch weiterhin aufBundeseben dafür einsetzen, dass der CO2-Preis die notwendige Höhe hat (180 Euro), um tatsächlich eine ökologische Lenkungswirkung zu erreichen.

Wärmewende:

  • Wir wollen die kommunalen Wärmepläne schnell umsetzen und so die CO2- Emissionen der Wärmenetze reduzieren. In Freiburg setzen wir uns übrigens als Grüne seit Jahren auf kommunalpolitischer Ebene für eine nachhaltige Wärmewende
  • aus Fernwärme, Geothermie und Blockheizkraftwerken ein. Den neuen Stadtteil Dietenbach wollen wir Grüne zu einem Klima-Plus-Stadtteil machen, wozu auch eine nachhaltige Wärme dazugehört. Als Landesgrüne wollen wir die Kommunen durch
  • gezielte Förderungen unterstützen, solche klimaneutralen Quartiere zu entwickeln.

Klimaneutrale Landesverwaltung:

  • Wir wollen die Landesverwaltung bis 2035 klimaneutral machen. Dazu gehört u.a., dass wir den Fuhrpark des Landes auf emissionsfreie Antriebe umstellen und die Finanzanlagestrategie des Landes bis 2022 an das 1,5-Grad-Ziel und die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen angepasst wird. Das bedeutet: Wir ziehen Gelder des Landes aus Anlagen ab, die diesen Kriterien nicht entsprechen.

Klimafreundliche Mobilitätswende:

  • Wir wollen alle Orte im Land von 5 Uhr bis 24 Uhr an den ÖPNV anbinden- auch mit Hilfe von Ruf-Bussen.
  • Mit einem Mobilitätspass (Nahverkehrsabgabe) werden wir die ÖPNV-Finanzierung verbessern, um Taktung und Ausbau voranzubringen.
  • Auf das Fahrrad kommt es an. Deshalb schließen wir die bestehenden Lücken zwischen den Radwegen, Radschnellwegen und den Fahrradstraßen im Land und schaffen ein attraktives Netz für alternative Mobilität. Für unsere Region stellen die regionalen Radschnellwege eine Denn: Das Fahrrad ist eine echte Alternative zum Auto- insbesondere in den Städten. Die Mobilitätswende braucht aber auch weniger und andere Autos.
  • Deswegen wollen wir das Schnellladesäulen-Netz weiter ausbauen, so dass innerhalb von 5 km eine Schnelladesäule finden. Auch die Wasserstofftankstellen für den LKW-Verkehr werden wir verdoppeln.

Wir wollen Wohlstand vom Ressourcenverbrauch entkoppeln. Unser Ziel ist eine echte Kreislaufwirtschaft: Rohstoffe wiederverwenden, statt die Erde auszubeuten.

Wie werden Sie Bürger*innen in die Gestaltung dieses tiefgreifenden Übergangs einbinden?

Das Fundament unseres Gemeinwesens sind Bürger*innen, die sich einmischen! Wie viel macht Bürger*innen haben, zeigt nicht zuletzt die Bewegungen wie Fridays for Future. Die Klimakrise ist menschengemacht und kann nur durch uns Menschen gestoppt werden. Daher ist es wichtig, die Bürger*innen auf dem Weg des Klimaschutzes einzubinden und mitzunehmen.

Wir Grüne stehen für eine Politik des Gehörtwerdens und der Transparenz. Diese Politik haben wir als grün-geführte Landesregierung erfolgreich mit Leben gefüllt: Mit dem Amt der Staatsrätin für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung haben wir eine in Deutschland einmalige Stelle geschaffen. Baden-Württemberg ist bundesweite Spitze in Sachen Bürgerbeteiligung und hat bei der direkten Demokratie sehr stark aufgeholt.
Unsere Bürger*innen haben vielfältige Möglichkeiten, ihre Meinungen zu äußern. Auf unserem Online-Beteiligungsportal können sie zu Gesetzesvorhaben Stellung nehmen und ihre Interessen deutlich machen. Wir haben die gesetzlichen Grundlagen für Volksabstimmungen verbessert und die informelle Bürgerbeteiligung bei der Planung von Infrastrukturprojekten eingeführt. Die Bürger*innen können nun in den Städten und Gemeinden auch über die Bauleitplanung abstimmen – und damit über das wichtigste Planungswerkzeug der städtebaulichen Entwicklung einer Kommune. In zahlreichen Projekten haben wir Bürgerbeteiligungen umgesetzt – und damit beispielsweise Konflikte bei der Planung des Nationalparks Schwarzwald.
In dem Biodiversitätsgesetz haben wir bundesweit beispielhaft gezeigt, wie verschiedene Interessen in einem Gesetz durch ein umfassendes Beteiligungsverfahren berücksichtig werden können. Hier haben wir es geschafft zwischen Naturschützer*innen und Landwirt*innen eine gemeinsame Regelung für mehr Artenschutz in Baden-Württemberg zu erreichen.

Wir werden unseren Weg der Politik des Gehörtwerdens beherzt weitergehen. Wir wollen die Bürgerbeteiligung auf Landesebene und vor Ort in den Kommunen weiter stärken und den Bürger*innen näherbringen. Dazu gehört auch die Einführung von direktdemokratischen Elementen auf Landkreisebene. Wir wollen zukünftig bei wichtigen Gesetzen und politischen Vorhaben Bürger*innenräte aus zufällig ausgewählten Bürger*innen beteiligen. Um die Ideen, Anliegen und Sorgen der Bürger*innen noch besser einbeziehen zu können, wollen wir zu Beginn der kommenden Legislaturperiode ein landesweites Bürger*innenbeteiligungsverfahren durchführen. Dabei wollen wir mit den Bürger*innen über ihre Vision für Baden-Württemberg 2030 ins Gespräch kommen. Wir wollen darüber diskutieren, wie wir gemeinsam die großen Herausforderungen der Zeit gestalten – vom Klimawandel über die Digitalisierung bis hin zum wirtschaftlichen Strukturwandel.

Unmittelbare Demokratie und kollektive Willensbildung drücken sich aber auch in Formen des sozialen Protests aus. Das Versammlungsgesetz stammt noch aus den 1970er-Jahren und ist auf Bundesebene verankert. Wir machen uns für ein modernes und demokratieförderndes Landesversammlungsgesetz stark. Dabei wollen wir uns beispielsweise am Versammlungsfreiheitsgesetz für das Land Schleswig- Holstein orientieren

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